Rechts abbiegen mit Todesfolge – Brief an die politischen Entscheidungsträger*innen
Es ist wieder passiert: Ein LKW-Fahrer biegt rechts ab und überfährt dabei einen geradeaus fahrenden Radfahrer. In diesem Fall von der Rhinstraße kommend auf die Landsberger Allee Richtung Westen. Der 47-jährige starb noch an der Unfallstelle. Das war am 18. Mai. Es ist der dritte Mensch, der seit März auf dieser Straße starb. Und der sechste Radfahrende in Berlin.
Trotz gegenteiliger Beteuerungen und eines Gesetzes, das unverzügliche Maßnahmen nach schweren Unfällen und Todesfällen festgeschrieben hat, ist es wieder passiert. Und es passiert wieder: Nichts.
Zumindest ist das zu befürchten.
Am 19. Mai sind viele Menschen an der Unfallstelle zu einer Mahnwache versammelt – eigentlich dürfen es nur 50 sein. Ebenfalls anwesend ist Bezirksstadtrat Martin Schaefer. Denis Petri von Changing Cities formuliert die Gefühle der Anwesenden: Wie immer bei diesen Anlässen mischen sich Trauer und Wut. Die Wut wird größer. Die Worte bitterer.
Sicherlich ernst gemeinte Bekundungen verpuffen derweil im politischen Alltagsgeschäft – und verantwortliche Politiker*innen und Verwaltungsangestellte können sich auf „prüfen, planen, mit einander sprechen” und die sogenannte “Verhältnismäßigkeit der Mittel“ herausreden.
Fakt ist: Es stehen verhältnismäßige, effektive, unverzüglich anzuordnende, rechtssichere Maßnahmen zur Verfügung. Jede Baustelle bekommt sie und kann damit innerhalb von Stunden eingerichtet werden. Einmal eingerichtet bleiben sie nicht selten Monate oder gar Jahre bestehen, für private und öffentlich Bauunternehmen sind diese Dinge kein Problem, und es ist auch für die Verwaltung kein Problem sie anzuordnen.
Erklären Sie diesen Unterschied den Hinterbliebenen – und erklären Sie uns allen, warum es unzumutbar sein soll, einen LKW mit einem Abbiegeassistenten auszustatten – für ein Promille des Kaufpreises. Oder einen Radstreifen einzurichten, der die Spuren von Kraftwagen und nicht-motorisierten Menschen trennt. Für einen Bruchteil der Mittel, und Zeit, die für Planung und Einrichtung finaler Baumaßnahmen eingesetzt werden müssen. Mit dem Vorteil aus den Erfahrungen zu lernen und die geeignetste Maßnahme verstetigen zu können, so wie es Friedrichshain-Kreuzberg gerade exerziert.
Fehler sind menschlich – aber Untätigkeit ist in diesem Fall unmenschlich.
Changing Cities setzt sich nicht nur bei Mahnwachen zusammen mit dem ADFC, dem VCD und vielen Menschen für eine sichere, fehlerverzeihende Infrastruktur ein. Das Mobilitätsgesetz schreibt den Ausbau in Berlin im Sinne der Verkehrswende vor. Friedrichshain-Kreuzberg MACHT es einfach: Es ist nicht leicht, aber es ist möglich – und es hängt offenbar an einzelnen Menschen, die sich nicht hinter der Masse verstecken, sondern die Möglichkeiten ihres Amtes im Sinne der gefährdeten und ungeschützten Verkehrsteilnehmer*innen nutzen.
Und das sind am Ende Kinder. Kinder denen die Möglichkeit der gesunden Bewegung genommen wird, weil die „zu gefährlich“ ist. Kinder, denen Angehörige genommen werden. Kinder, die selber zu Schaden kommen. Und Kinder, deren Zukunft bedroht ist durch Klimawandel und Luftverschmutzung. Kinder stehen hier als besonders schutzwürdige Menschen natürlich nur stellvertretend für alle. In letzter Zeit waren gerade ältere Menschen zu Fuß am häufigsten als Opfer von „autogerechter Infrastruktur“ zu beklagen. Der zuletzt Getötete wurde 47 Jahre alt.
Corona deckt auf, wo die Grenzen unserer Kontrollmöglichkeiten sind – Corona zeigt uns aber auch neue Handlungsspielräume. Nein, das ist keine Verschwörungstheorie, das ist eine Frage des Gewissens und der Prioritäten. Und es ist Ihre Pflicht darauf zu reagieren, sehr geehrte Damen und Herren Verkehrspolitiker*innen und Verwaltungsangestellte. Allen voran Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer und in Ihrem Bezirk sind es Sie, Herr Stadtrat Schaefer, zusammen mit Ihnen, Herr Bürgermeister Grunst.